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Von der Heimstatt zum Jugendwohnen

JUGENDSOZIALARBEIT - Angefangen von der akuten Not der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zu den sehr vielseitigen Bedarfen unserer Tage hat sich das Jugendwohnen als stabiler Anker in den Biografien etlicher junger Menschen bewährt. Stefan Müller leitet seit 1992 das Katholische Jugendwohnheim Bernard Letterhaus in Köln-Poll, das als frühere „Heimstatt“ zu den – im wahrsten Sinne des Wortes – Urgesteinen des Jugendwohnens gehört. In seinem Beitrag lässt er die bewegte Geschichte seiner Einrichtung Revue passieren, markiert die entscheidenden politischen Linien im Wandel der Zeit und macht den Zusammenhang zwischen pädagogischem und baulichem Denken deutlich, der sich im Jugendwohnen wie kaum sonst in einem Handlungsfeld vereint.

1947 tagte in Köln die „Erste Konferenz Heimstatt“. „Diese Konferenz ist nicht der Anfang der Heimstatt, wie sich Karl Hugo Breuer in den Beiträgen zur Geschichte der katholischen Jugendsozialarbeit erinnert. „Sie ist vielmehr Ergebnis eines Prozesses, in dessen Verlauf in den Jahren 1945 bis 1947 der Begriff Heimstatt zur Bezeichnung für eine neue Form von Hilfe für eltern- und heimatlose Jugendliche geworden war.“

In einer Zeit, in der die Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegründet war, fanden sich, verkürzt gesagt, engagierte Menschen – insbesondere aus dem Umfeld der katholischen Jugendarbeit – zusammen, die die Not der Zeit erkannten. Durch ihre eigenen Kriegserfahrungen geprägt begannen sie damit, pädagogische und bauliche Konzepte zu entwickeln, um die damals „eltern- und heimatlosen“ jungen Menschen aufzufangen und zu begleiten, so Karl Hugo Breuer.

Das Katholische Jugendwohnheim Bernhard Letterhaus, sein Gründungsträger und auch der heutige Träger, haben ihren Ursprung genau in dieser Zeit, und das Jugendwohnheim in Köln-Poll steht exemplarisch für die Geschichte der Jugendsozialarbeit. In Köln-Poll engagierte sich die Kirchengemeinde in den frühen Nachkriegsjahren mit dem aus der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) stammenden ersten Heimleiter Servi Schüller – er war zudem auch Teilnehmer der schon erwähnten „Ersten Konferenz Heimstatt“ gewesen – und dem damaligen Pfarrer P. Milde für die in Not geratenen jungen Menschen und bauten das von Bomben zerstörte HJ-Heim zu der „Heimstatt – Haus des jungen Mannes“ auf. Schon 1951 fanden dort „sechzig Jungen ohne Eltern ein Heim“, wie die Chronik zum fünfzigjährigen Jubiläum der Pfarrgemeinde Sankt Dreifaltigkeit in Köln-Poll dokumentiert.

Wenn man heute vom „modernen Jugendwohnen“ spricht, gilt dies baulich und konzeptionell sicherlich auch für die damals neu gegründete Heimstatt. Zu einer Zeit, zu der Köln noch in Schutt und Asche lag, bot die Einrichtung einen vergleichbar hohen Standard, der auf die Bedürfnisse der jungen Menschen abgestimmt war. Aber das Wort „Heimstatt“ war auch Programm, wie die Gründungspapiere zeigen.

„Unsere Heimstatt […] will Jugendlichen und Heranwachsenden helfen, ihren Lebensraum zu gestalten, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen fördern und zu einem sozialen Verständnis hinführen“, so heißt es in der Hausordnung der Heimstatt aus dem Jahr 1951. „Bildungsarbeit, Freizeitgestaltung und Berufsförderung stehen im Mittelpunkt unserer pädagogischen Arbeit.“

Das „Haus des jungen Mannes“ war eben nicht nur Herberge, sondern verstand sich als ein Zuhause, wo junge Menschen mit Essen und Wäschepflege umsorgt wurden, aber auch ein pädagogischer, erzieherischer Anspruch erhoben wurde.

Als die Heimleitersfrau noch kochte

Ohne diese ursprüngliche Konzeption aus dem Auge zu verlieren, entwickelte sich die ehemalige Heimstatt über sieben Jahrzehnte stetig weiter und passte sich, mit der Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte wie der baulichen Maßnahmen, flexibel den Herausforderungen der Zeit und der wechselnden Klientel an:

Schon in den frühen 60er-Jahren wurde die Heimstatt mit einem Anbau erweitert, der die Wohnqualität und das Raumangebot erweiterte. Im Sinne der Zeit wurden neben neuen Bewohnerzimmern auch eine Heimleiterwohnung und Wirtschaftsräume geschaffen. Dass der Heimleiter samt seiner Familie mit in der Einrichtung wohnte und eine Betreuung rund um die Uhr gewährleistete, war für die damalige Zeit eine Selbstverständlichkeit; ebenso, dass die Heimleitersfrau die Bewohner bekochte und versorgte. Von Zeitzeugen aus der Poller Gemeinde wissen wir, dass die Einrichtung immer als Teil der Gemeinde gesehen und mit sehr viel ehrenamtlichen Engagement unterstützt wurde. Neben der Heimleiterfamilie trugen Kirchenvorstand, Pfarrgemeinderat, Gemeindemitglieder und einige Festangestellte zum Gelingen des Ablaufs bei.

In den folgenden Jahrzehnten veränderte sich immer wieder die Zusammensetzung der jungen Menschen, die in der Einrichtung aufgenommen wurden. Auf die heimatlosen Jugendlichen der unmittelbaren Nachkriegszeit folgten während der 70er-Jahre arbeits- und obdachlose junge Menschen; bis in die 90er-Jahre kamen Kontingentflüchtlinge, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie andere Migrantinnen und Migranten ebenso hinzu wie Auszubildende.

Professionalisierung und politischer Gegenwind

1989 wechselte die Trägerschaft der Heimstatt von der Pfarrgemeinde zum Verein „Katholische Jungarbeiter-Heimstatt Nikolaus-Gross-Haus e.V.“, der derselben Heimstätten-Tradition der Nachkriegszeit entstammt und bereits in Köln-Kalk ein Jugendwohnheim betrieb. Mit dem Trägerwechsel nahm das Haus nicht nur seinen neuen und heutigen Namen an, sondern stellte sich auch einer bewussten Professionalisierung, um die Ehrenamtlichen und Gremien der Pfarrgemeinde zu entlasten.

Gleichzeitig wurden das pädagogische Konzept modifiziert und in enger Zusammenarbeit mit dem Erzbistum Köln ein bauliches Konzept entwickelt, um den entstandenen Sanierungsstau der vergangenen Jahre mittelfristig entgegenzuwirken. In dieser Umbruchzeit wandelte sich auch noch einmal die Zusammensetzung der Bewohnerschaft, zu der nun vermehrt Auszubildende aus den neuen Bundesländern stießen, aber auch junge Flüchtlinge und sozial benachteiligten junge Menschen.

Über zehn Jahre lang wurden substanzerhaltende Maßnahmen umgesetzt, Wohn- und Funktionsräume auf einen zeitgerechten Stand gebracht und Mehrbettzimmer weitestgehend abgeschafft. Für diese Maßnahmen konnte ein Teil der Mittel als zweckgebundene Zuschüsse über den Landesjugendplan bewirtschaftet werden. Das Erzbistum Köln unterstütze den Träger während der gesamten Bauzeit bei der Erbringung von Eigenmitteln.

Seit Anfang 2003 standen die Mittel des Landesjugendplanes allerdings nicht mehr zur Verfügung. Dies hatte zur Folge, dass die geplante Umsetzung der Sanierung nicht mehr weiter vorangetrieben werden konnte. Gleichzeitig verlor der Landesjugendplan mit den „pädagogischen Beihilfen“ eine weitere wichtige Position. Diese nun gestrichenen Zuschüsse hatten bis dato fast einem Drittel des Gesamtbudgets der Einrichtung entsprochen und einen großen Anteil daran gehabt, das Jugendwohnen für junge Menschen überhaupt bezahlbar zu machen. Mit der Streichung dieser Mittel wälzte das Land die Jugendwohnheimförderung auf die Kommunen ab.

Hatte bis dahin die Pflegesatzkommission die Entgeltsätze im Land NRW festgeschrieben, stand der Träger mit dem fristlosen Wegfall der Landesmittel unvermittelt vor der erstmaligen Herausforderung, einen kommunalen Entgeltsatz verhandeln zu müssen. Trotz massiver Bemühungen konnten diese Verhandlungen erst zum Ende des Jahres 2003 abgeschlossen werden, was den Verein in eine wirtschaftlich sehr bedrohliche Lage brachte. Letztendlich kamen jedoch eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung mit der Kommune und ein tragfähiges Entgelt zustande.

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bekräftigten den Träger und die Einrichtung darin, weiterhin Konzepte für die Zukunft zu entwickeln, um auch künftig jungen Menschen eine adäquate Unterkunft im „sozialpädagogischen begleiteten Jugendwohnen“ anzubieten. So wurde trotz aller Widrigkeiten schon im Jahr 2001 im Rahmen eines Konzeptworkshops damit begonnen, die bauliche Ausrichtung für die Zukunft zu planen. Parallel dazu wurde ab 2005 die pädagogische Arbeit mit einem Qualitätsmanagement untermauert und somit ein System der ständigen konzeptionellen Weiterentwicklung implementiert.

Nach zehn Jahren Planung und zwei Jahren Bauzeit gingen im Jahr 2012 ein Neubau mit zwölf modernen Apartments „mit Verselbstständigungscharakter“ und ein Anbau mit dringend notwendigen Freizeiträumen in Betrieb. Bei dieser Maßnahme wurde auch der auf dem Grundstück befindliche unterirdische Bunker in der Substanz erhalten und in das Gesamtkonzept integriert. Bereits im Jahr 2007 hatte sich die Einrichtung als erstes Jugendwohnheim in Deutschland nach der Norm ISO 9001 zertifiziert und damit ein System der Qualitätssicherung eingeführt.

Politische Lobbyarbeit zahlt sich aus

Die Geschichte am Beispiel des Katholischen Jugendwohnheims Bernhard Letterhaus zeigt, dass Jugendwohnen im Rahmen der Jugendsozialarbeit immer in Bewegung war. Ohne die ständige konzeptionelle (baulich und pädagogisch) Weiterentwicklung würde es die Einrichtung in dieser Form sicherlich nicht mehr geben. Insofern ist es wichtig, dass wir die Zukunft im Blick haben, um uns darauf einzustellen, welche Anforderungen die jungen Menschen an uns stellen werden, und welche individuellen Förderbedarfe die jungen Menschen mitbringen werden.

Vernetzung auf allen Ebenen, also Menschen für das Jugendwohnen zu begeistern und einzubinden, war schon in den Ursprüngen der Heimstätten ein wesentliches Merkmal dieser Arbeit. Auch in Zukunft sind Vernetzung und Lobbyarbeit für das Jugendwohnen von besonderer Bedeutung. Vernetzungen des Jugendwohnens gibt es auf gemeindlicher, kirchlicher und kommunaler Ebene, auf Landes- und Bundesebene; sie haben in den letzten Jahrzehnten die Arbeit der vielen kleinen Träger gestützt und gefördert.

Darüber hinaus treiben aber viele Einrichtungen des Jugendwohnens – auch unter Mitwirkung des Katholischen Jugendwohnheims Bernhard Letterhaus – eine Lobby- und Marketinginitiative auf Bundesebene voran, die das Jugendwohnen bekannter machen und die Interessen bündeln und vertreten soll. Den größten Erfolg hat die Initiative jüngst dahingehend erzielt, dass die Bundesagentur für Arbeit die ehemals gestrichene Förderung der Jugendwohnheime durch bauinvestive Mittel wieder aufgenommen hat. Jugendwohnheime können nunmehr notwendige Modernisierungsmaßnahmen umsetzen.

Die Lobbyarbeit der Vergangenheit hat auch dazu beigetragen, dass das Jugendwohnen politisch besser wahrgenommen wird. Leider hat Jugend(sozial)arbeit in der Politik aber immer noch zu wenig Stellenwert und muss rechtlich gestärkt werden. Als großen Erfolg ist zu verbuchen, dass in den 90er-Jahren, im Übergang vom damaligen Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) zum heutigen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) das Jugendwohnen im § 13 erstmals rechtlich verankert wurde. Ein verbindlicherer Charakter über die dort normierte Kann-Vorschrift hinaus wurde aber in beiden folgenden Jahrzehnten nicht mehr erreicht. Erst in den letzten Jahren erreichte die Jugendpolitik durch die Verbindung der Norm mit dem ersten Absatz des § 13, für den ein sogenannter „subjektiver Rechtsanspruch“ besteht, eine leichte Stärkung. (Hier geht es um Unterstützung zum „Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen“.) Die benachteiligten und beeinträchtigten jungen Menschen, die mehr und mehr in die Einrichtungen strömen, erhalten auf dieser Rechtsgrundlage (und in Abgrenzung zu den Hilfen zur Erziehung) eine auf ihren besonderen Förderbedarf zugeschnittene Unterstützung.

Wie in vielen Kommunen hat auch unsere Einrichtung seit den 90er-Jahren die benachteiligten und beeinträchtigten jungen Menschen immer im Blick gehabt und auch die pädagogischen Konzepte auf diesen Förderbedarf ausgerichtet. Im Jahr 2012 erhielt das Katholische Jugendwohnheim Bernhard Letterhaus als erste Einrichtung in Köln eine Betriebserlaubnis für dieses Angebot und konnte mit dem kommunalen Träger der Jugendhilfe einen eigenen Entgeltsatz nach § 13.1 i.V.m. § 13.3 SGB VIII verhandeln.

Auch wenn hier keine höhere Verbindlichkeit erreicht werden konnte, ist doch festzustellen, dass das Jugendwohnen heute sehr viel klarer als selbstverständlicher Teil der Jugendhilfe verstanden und akzeptiert wird. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg, der sich der Schaffung des § 13 im heutigen SGB VIII verdankt.

Jugendwohnen als ständiger Prozess

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendwohnen im Rahmen der Jugendsozialarbeit immer als Antwort auf die Herausforderungen zu verstehen ist, um junge Menschen bei ihrer schulischen oder beruflichen Integration zu begleiten. Jugendwohnen ist somit auch als ständiger Prozess zu verstehen, der in der Schaffung von Konzepten die pädagogische und bauliche Weiterentwicklung vorantreibt. Dieser Prozess kann aber nur richtig gestaltet werden, wenn wir, wie in der Vergangenheit, Beteiligung garantieren: Bei der Konzeptentwicklung müssen die Bewohnerinnen und Bewohner wie die Mitarbeitenden ebenso beteiligt werden wie die vielen Partner und Ehrenamtlichen, die auch heute noch das Jugendwohnen mit ihrem Engagement mittragen.

Dieser seit Jahrzehnten erfolgreiche gesellschaftliche Prozess kann aber nur dann weitergeführt werden, wenn das Jugendwohnen die politische Unterstützung bekommt, die es benötigt.

Die auf Landesebene gestrichenen bauinvestiven Zuschüsse aus dem Landesjugendplan (wie sie z.B. die Jugendherbergen noch heute aus dieser Förderposition beziehen), müssen der Förderung von Jugendwohnheimen wieder zur Verfügung gestellt werden. Auf Bundesebene muss dringend erreicht werden, dass junge Menschen, die auf Grund einer Benachteiligung das Jugendwohnen in ihrer schulischen oder beruflichen Ausbildung in Anspruch nehmen (müssen), über das Bundesarbeitsförderungsgesetz (BAföG) oder die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) im Rahmen der verhandelten Entgelte gefördert werden; und ferner muss dafür gesorgt werden, dass junge Menschen im gesetzlichen Rahmen des SGB VIII, also bis zum 27. Lebensjahr, eine Unterstützung durch die Jugendhilfe erhalten. In der Praxis steigen die Jugendämter mit der Vollendung des 18. Lebensjahres aus der Förderung des Jugendwohnens aus und drängen die jungen Hilfebedürftigen in den Arbeitslosengeld-II-Bezug oder in die Sozialhilfe. Das Jugendwohnen kann also auch nur dann in den kommenden Jahrzehnten diese wichtige gesellschaftspolitische Arbeit leisten, wenn § 13 des SGB VIII und somit das Jugendwohnen rechtlich gestärkt werden.

Trotz all dieser Entwicklungen hat sich das Jugendwohnen ideell nicht vom Ursprungsimpuls der Heimstatt entfernt. Auch heute noch versteht sich Jugendwohnen, wie es im Leitbild des Katholischen Jugendwohnheims Bernhard Letterhaus heißt, „… nicht als Jugendherberge [sondern als] … eine Gemeinschaft, in der Techniken zur Bewältigung alltäglicher Lebensproblematiken ebenso wie Umgangsformen, Regeln des Zusammenlebens und Werthaltungen vermittelt und erlernt werden können. Deshalb ist das Leben lernen und das Mitwirken an Pflichten und Rechten ein wesentlicher Bestandteil unserer gemeinschaftlichen Arbeit.“

Dieser Artikel ist im Mai 2015 im Heft "ASPEKTE der Jugendsozialarbeit" Nr. 73 der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozailarbeit veröffentlicht worden.

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